Authentizität... tärätätäää... spöttelte meine Großmutter immer.

Wie authentisch bist Du "wirklich"?

Was ist Authentizität für Dich?

Woran würdest Du Authentizität bei anderen bemerken? Und vor allem: Bei Dir selbst?

Die Ehrlichkeit oder Wahrhaftigkeit eines Menschen ist heute ein vielgelobtes Gut. "Das war ein authentischer Auftritt!" jubeln Zuschauer nach dem Auftritt eines brillanten Schauspielers. So echt, so nah, so berührend. 

Nur: Bitte auch nicht zu viel davon. Denn sobald ein Mensch, zum Beispiel vor laufenden Kameras, seine "echten Gefühle" zeigt, kann die sonst so vielgewollte Authentizität auch schnell verstörend wirken. Ein Promi-Fußballer, wie Per Mertesacker, der nach dem WM-Spiel gegen Algerien authentisch genervt auf den Sportreporter reagierte, wird in der Öffentlichkeit dann doch eher als unbeherrscht wahrgenommen. 

Dabei war alles in und an ihm völlig im Fluss. In einem sehr aggressiven wohl, und dennoch total echt. 

Authentizität ist so gefragt, dass manche sie verkaufen

Ich kenne dieses Ringen um Echtheit aus meinem vergangenen Leben als Moderatorin für einen Homeshopping Sender. Ein Tränchen der Rührung, als die Redaktion am Muttertag meinen damals einjährigen Sohn mit einem Blümchen in der Hand ohne Vorwarnung in meine Live-Sendung tappen ließ, veranlasste ein enormes Publikum zu geteilter Freude,  Bewunderungsstürme für diese echte Emotion und Lobeshymnen über meine Authentizität als Mama in ihrer Liebe zum Kind. 

Anders, wenn ich mich völlig ehrlich und mit Gänsehaut (die natürlich in der Kamera schwierig zu sehen ist, selbst zu HD-TV-Zeiten) völlig für ein von mir präsentiertes Produkt begeisterte und es in kindlicher Freude selbst in der Sendung bestellte. Hier erfolgte dann meist neben Freude über meine Freude auch harsche Kritik seitens der Zuschauer, dass dies ja "nur gespielt sei", damit mehr Leute das Produkt kaufen.

Ja, was denn nun? 

Echte Gefühle, voll ausgelebt, oder lieber "neutrale Distanz", was auch immer das im Zusammenhang mit menschlichem Verhalten sein soll? 

Arbeitgeber wünschen sich Authentizität von ihren Mitarbeitern. Menschen, die einen Partner suchen, neben dem viel gepriesenen Humor ebenfalls. Authentisch sollen Politiker, Schauspieler und das Essen im feinen Restaurant sein. Nur nicht zu viel. Und nicht, wenn sie sich über etwas ärgern oder weinen. Und wie sollen wir Menschen das nun hinbekommen?

Ausflug in die "Kybernetik" gefällig?

Ob gefällig oder nicht, wie machen das jetzt einfach mal: 

1970 fragten Anhänger der sogenannten Kybernetik, der Lehrer von Steuerungen und Abhängigkeiten in Systemen, welche Farbe ein Chamäleon wohl annehmen würde, würde es von Spiegeln umgeben sein, die nichts als es selbst zeigen können.

Spannend, dass Kevin Kelly, der Mitbegründer des Magazins "Wired" in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts neugierig tatsächlich eine Chamäleon-Exe in ein Spiegelkabinett hockte. Das Tier verfärbte sich von braun nach grün und dabei blieb's. 

Das lässt viele Deutungen zu und bleibt als Ergebnis spannend: Denn grün ist die Farbe, die von jener Exenart dann angenommen wird, wenn sie unter Stress oder Angst gerät. Vielleicht. Denn wenn die Exe nichts in ihrem Umfeld findet, dem sie sich farblich anpassen kann, um "nicht gesehen zu werden", dann kann das zu einer durchaus erklärbaren, anhaltenden Furcht vor diesem fehlenden Moment führen. 

Bewiesen ist das nicht. Eine Exe kann nach wie vor nicht sprechen. Und wer weiß schon, ob "grün" eine Stressreaktion oder eben einfach eine standardisierte Tarnfarbe ist.

Und weil das hier ein NLP-Blog ist...

Im NLP finden wir dieses Ergebnis durchaus spannend. Es stützt die Annahme, dass sich Menschen, die sich in einem Stress-Zustand befinden, am "authentischsten" verhalten. 

Zu Stress zählt übrigens nicht nur die blanke Wut, Furcht oder Not. Lampenfieber, freudige Aufregung, große Freude bis hin zur euphorischen Begeisterung, Rührung, Erschrecken, Furcht, Ekel, Liebeskummer oder das genau gegenteilige Gefühl von frischer Liebe können wir Menschen ebenfalls in den Ausstoß der klassischen "Stresshormone" umsetzen.

Wäre das jetzt der Tipp dieses Blogposts? Bring Dich nur gehörig unter Stress, dann weißte, wie Du wirklich bist? Naja, etwas wahres ist da dran, oder? Denn warum sonst stellen Profiler in Bewerbungsgesprächen irgendwann im Laufe des Protokolls Fragen wie: 

"Warum bleiben Sie denn nicht in ihrer alten Stelle? Welche Probleme mit Ihnen gab es denn?" oder

"Auf einer Skala von 1-9 - wie sehr sind Sie schon der Mensch, der Sie sein wollen?" oder

"Warum sollten wir Sie Ihrer Meinung nach NICHT einstellen?"

Der Grund liegt auf der Hand: Hier wir der Bewerber aus seiner "coolen" Komfortzone gelockt. Der Inhalt der Antwort ist fast unerheblich. Viel spannender ist, wie sich bei solchen unbequemen Fragen die Körperhaltung verändert. Und wie anders die Antwort "klingt", die nun gegeben wird. Welche Facetten werden Sicht-, hör- und fühlbar. Jede Bewegung zählt. Jede Sekunde des Zögerns. Jedes Räuspern. Jedes "Ähm". Im NLP Practitioner lernen unsere Teilnehmer hierzu zum Beispiel die sogenannten Metaprogramme kennen (die ich als Werkzeug sehr authentisch liebe).

Und das arme, kybernetische Chamäleon?

Das Chamäleon ist ins Spiegelkabinett gesetzt worden, und die Beobachter warten auf die "True Colour" des Tieres. Auf die Farbe, die es einnimmt, weil nichts um es herum seine Färbung beeinflusst. 

Und weißt Du was, lieber Leser? In meiner Welt ist das Ringen um diese Echtheit, dieser Wunsch nach dem Durchschauen eines Menschen, das Erkennen können, was ein anderer wirklich denkt, fühlt und sein könnte... verständlich und völliger Unfug. 

Unter Stress, Angst oder Wut mögen sich einige Verhaltensweisen zeigen, die ein Mensch im entspannten Zustand nicht an den Tag legt - und das ist doch LOGISCH, oder? Denn dann braucht er oder sie sie ja auch nicht. 

Und dies für einige Jobs vorher auszutarieren ist in meiner Welt auch legitim. Denn einen Herzchirurgen, der beim Fehlen eines wichtigen Instruments während der OP Wutausbrüche bekommt, würde ich auch nicht einstellen wollen. Nur: Wenn Authentizität, also Echtheit, nur in angespanntem Zustand anzutreffen ist, dann pfeif ich auf den Anspruch, sie stets zu zeigen. Außerdem: Wie authentisch verhalte ich mich denn zum Beispiel, wenn ich schlafe?

Authentizität gegen Facettenreichtum?

Vielleicht ist Echtheit und Authentizität ein genau so wertvolles Gut, wie Vielseitigkeit und Flexibilität? Schon mal darüber nachgedacht? Harald Schmidt antwortet auf eine Interviewfrage, wann er denn mal authentisch und er selbst sei, dass er sich damit abgefunden habe, vieles zu sein. Situationsabhängig. Und das sehr zu genießen. Jetzt sei er der TV-Moderator, der ein Interview gibt. Und in einigen Minuten der Parkplatzgänger, der sein Parkticket in der Hosentasche sucht. Und darauf der Supermarkteinkäufer, der sich ärgert, weil sein Lieblingsprodukt gerade ausverkauft ist. Und einige Minuten später der Mann, der sich auf seine Frau freut. Und am Abend der erfahrene Showmaster, der ein großes TV-Publikum informiert und unterhält. Was davon ist denn nun echt? Na, alles!  

Wer be- oder verurteilt uns Menschen für unsere Echt- oder Unechtheit? Wer beschließt, was an unserem Verhalten wirklich wahrhaftig und was nur gespielt ist? Wer kann einschätzen, was genau wir gerade in welchem Maß fühlen und nach außen zeigen? Und was davon ist sozial überhaupt angemessen?

Wird ein Per Mertesacker nach dem Anmaulen des Sportreporters in der Kritik stehen? Na klar! Wird er daraufhin ein Coaching für TV-Interviews machen? Vermutlich. Wird er dadurch weniger echt? Nö. Vielleicht etwas besonnener. Oder er stellt sich nicht mehr für unmittelbare Live-Befragungen nach einem schwierigen Spiel zur Verfügung. Wer weiß das schon. 

Wie echt ist ein Gefühl? 

Wie sehr sollte es gezeigt werden, damit andere es als echt empfinden? 

Wir, Florian und ich, gehen davon aus, dass dies in letzter Konsequenz sowieso nur ein Mensch wirklich beurteilen kann. Derjenige, der fühlt. 

Wir alle lernen spätestens in der Schule, manche Gefühle zu verbergen, anderes zu behaupten, als wir denken oder ein Pokerface aufzulegen. Das dient unserem Selbstschutz in einem sozialen System, das bis heute von Hierarchien und Anforderungen an ein moralisches Miteinander geprägt ist. Zum Glück, denn sonst würden einige Zeitgenossen sich vielleicht ständig benehmen, wie Arsch auf Eisen. Wir lernen "Benehmen", damit wir bestimmte Formen des respektvollen Umgangs miteinander einhalten. 

Deshalb verkünden wir ja auch nicht in jedem Kontext, dass wir unser Gegenüber keinen Meter weit leiden mögen oder gerade starke Flatulenzen wegen eines vorangegangenen Sauerkrautverzehrs spüren - obwohl das sehr authentisch wäre. Und ich bin sehr dankbar dafür, dass manche Menschen mich aus ihrem Verdauungsapparat vollinhaltlich ausschließen. WIRKLICH. Auch wenn es eine echte, gelebte Gefühlsbekundung wäre.

Das einzige, was wahr und echt bleibt, ist Deine Eigenwahrnehmung. 

Was spürst Du? 

Jetzt gerade. Oder wenn Du morgens zur Arbeit fährst. Oder wenn Du abends nach Hause kommst und Deinen Partner triffst? Welche Gedanken und Gefühle hast Du dann - wirklich und echt und nur für Dich? 

Unsere Annahme, auch fernab eines jeden NLP-Formats, ist, dass Du im Stande bist, jedem Menschen etwas vorzumachen. Außer Dir selbst. Dich kannst Du nicht belügen. Auch wenn manch einer behaupten würde, das über Jahre getan zu haben. Die Wahrheit ist eine andere. Natürlich können wir uns nur selbst nah und direkt wahrnehmen. Was wir dann mit diesem "echten Zustand" tun, wie wir uns ihn schön- oder schlecht reden, wie wir ihn deuten oder bewerten - das bleibt einem jeden Menschen selbst überlassen. 

Viel mehr an der Art und Weise, wie "echt" andere mich wahrnehmen oder einstufen, arbeite ich also daran, meine Gefühle wieder voll und ganz wahrzunehmen. Und mich dann selbst zu fragen: Was mache ich jetzt damit? Und was fühlt sich als nächstes für mich wahr und echt und gut an? Und wie sehr genieße ich es, mich mir ganz nah zu fühlen? 

Und plötzlich denke ich ein bisschen an das Chamäleon im Spiegelkabinett... das ganz grün ist. Vermeintlich aus Angst, weil es nicht weiß, wie es sich verstecken soll. Und vielleicht ja auch einfach, weil es keinen Anlass gibt, eine andere Farbe anzunehmen, als sein geliebtes Grün. Und es ist quietschvergnügt... ganz grün. Und bleibt es auch mal eine Weile. Weil da ja nichts ist, wozu es diese Farbe eintauschen sollte. Und wenn da wieder eine andere Farbe wäre, außerhalb des Spiegelkabinetts... dann nimmt das Chamäleon sie eben an. Warum? Weil es das kann. 

Wie fabelhaft. 

In diesem Sinne wünsche ich Dir den Spaß Deines Lebens beim "Du-Sein". Und was das ist... das entscheide doch am besten Du.


Liebe Grüße und Danke für's Lesen.


Deine Miri