Ja, das war Absicht!! (Ein sehr selten gesagter Satz. Schade.)

"Du tust alles, was Du tust, in guter Absicht. Deshalb kannst Du stets behaupten: 'Ja, das war Absicht.' - Oder?"

Ich wünschte, Menschen würden mehr Absichtliches tun!

 

Huuuuu – etwas Böses mit Absicht zu tun, ist das Schlimmste überhaupt, oder?
Dabei wäre unsere Welt wirklich besser, wenn Menschen mehr mit Absicht tun würden.
Ja, ich weiß: Ketzerische These.

Und lass uns von vorne beginnen.

Gestern sah ich ein YouTube Video. Ein Vater und zwei Kinder stehen in diesem Video in Badekleidung in einer großen Pfütze am Straßenrand. Sie winken den sich nähernden Autofahrern zu und halten ein Schild hoch, auf dem zu lesen ist: 

"Bitte lass die Pfütze hochspritzen!"

Einige Autofahrer tun ihnen den Gefallen und fahren so durch den Rand der Pfütze, dass die Familie für einen kurzen Moment in hohen Fontänen schäumenden Wassers verschwindet.

Einige Autofahrer fahren trotz der Aufforderung und des Wunsches auf dem Schild in einem großen Bogen um die Pfütze herum. Einer zeigt dem Vater sogar deutlich sichtbar einen Vogel.

Wer macht in dieser verkehrten Welt denn nun bitte was mit Absicht?

Die Familie, die sich das wünscht, was ansonsten normalerweise versehentlich passiert? Die Autofahrer, die das tun, was sie sonst höchstens versehentlich machen?

Was steht im Vordergrund? Der Spaß mit dem Wasser? Der Wunsch der Familie? Das Erlebnis?

Vielleicht verstehst Du noch nicht ganz, auf was ich hinaus will. Finden wir ein eindeutigeres Beispiel:

Hier ist unser Coach Seminar.

Wir starten nach einer Kaffeepause wieder ins Programm und ich setze mich bereits auf meinen Trainerhocker.

Die Teilnehmer sind alle schon da.

Nur der Hocker neben mir ist noch leer – Florian fehlt noch an meiner Seite. Er ist mein wundervoller Ehemann und mein Geschäftspartner.

Wir, die Teilnehmer und ich, warten einen Augenblick auf ihn.

 

Schließlich sagt einer der Teilnehmer: Das macht er doch jetzt mich Absicht – Dich hier so vor uns sitzen zu lassen, oder?

Meine Antwort darauf: „Das hoffe ich sehr. Um genau zu sein, vermute ich es.“

 

Denn wenn ein Mensch etwas absichtlich tut, hat er zumindest eines getan: Vorher darüber nachgedacht und abgewogen. Und dann entschieden.

 

Florian wird einen guten Grund haben, ein paar Minuten später zu erscheinen.

So war es dann auch.

Er hatte noch mit einem unserer beiden Kinder telefoniert, dessen Zug an diesem Mittag ausgefallen war und es ging darum, wie es nach Hause kommt.
Florian hatte sich also entschieden, dass er für das Wohl unseres Sohnes ein paar Minuten zu spät ins Seminar kommt.

 

Ich LIEBE diesen Mann. Er ist wunderbar. Er ist ein achtsamer und fürsorglicher Stiefpapa für unsere Kinder. Und er unterstützt mich dabei, mich als working mom nicht alleine zu fühlen.

Und das Tollste daran: Ich würde ihm IMMER Absicht unterstellen. 

Und auch immer eine gute!

 

Weil ich Florian für sehr schlau und sehr umsichtig und sehr wachhalte.
Florian tut die meisten Dinge, die er tut, mit voller Absicht.

Ich übrigens auch.

Immer, wenn ich in meinem Leben bei anderen Menschen für etwas um Entschuldigung bitte, darf ich mich mit Fug und Recht fragen, warum ich das, was es zu entschuldigen gibt, nicht mit Absicht gemacht habe.
Denn dann hätte ich ja vorher darüber nachgedacht und mich unter Umständen dagegen entschieden oder besser aufgepasst.

 

Das heißt nicht, dass ich nicht ab und an etwas tue, bei dem ich später merke, dass es Bullshit war. Zu dem Zeitpunkt allerdings, als ich es tat, war es wohl gerade meine beste Idee. Sonst hätte ich es gelassen. Denn: Wer tut schon mit Absicht etwas völlig Blödsinniges?

 

Dass andere, von meinem Verhalten beeinträchtigte Menschen, mir Verständnis entgegenbringen, ist das eine. Darauf darf ich dann hoffen und darum bitten.
Dass ich selbst immer achtsamer und schonender mit mir und anderen umgehe und dies auch übe, ist das andere.

Nehmen wir mal eine andere Situation. 

Hier trifft sich ein Team von Führungskräften online zu einem wichtigen Thema. Ich bin als Consultant mit von der Partie. 
Der Geschäftsführer ist ebenfalls eingeladen und hat den Termin auch angenommen.
Alle warten auf ihn – er kommt nicht.

 

Schließlich wird besprochen, was ohne ihn besprochen werden kann und alles weitere wird vertagt. Die Führungskräfte reagieren unterschiedlich heftig auf das unangekündigte Fehlen des Geschäftsführers. Die einen nehmen es einfach hin, zwei von ihnen jedoch regen sich ordentlich auf. Die Basis-Aussage, die von ihnen in den Raum gestellt wird, lautet:
„Das macht der mit Absicht!“

 

Innerlich hoffe ich, dass das so ist. Dass er mit guter Absicht gefehlt hat. Dass etwas Wichtiges passiert ist, weswegen er sich entschied, ohne Absage nicht zum Termin zu erscheinen.

Das würde die Sache einfacher machen.

 

Und auf der anderen Seite frage ich mich: Würde das die Situation maßgeblich verändern? Also: Macht es einen Unterschied, ob er absichtlich oder aus Versehen nicht gekommen ist? Ich meine – am Ergebnis?
So oder so haben wir ohne ihn in dem Meeting gesessen. Punkt.

 

Ist es damit nicht eine der unwichtigsten Fragen überhaupt?

Die Antwort darauf (Absicht – ja oder nein) hat null komma null Einfluss auf das, was wir in den Griff bekommen dürfen. Nämlich das auf der Agenda stehende Problem.

 

Nehmen wir an, es handelte sich beim Grund für das Meeting um ein wirklich wichtiges Problem. Nehmen wir an, gemeinsam mit dem Geschäftsführer hätte es besprochen und es hätten Lösungen gefunden werden können.

Ist es dann nicht Zeitverschwendung, sich Minuten und Stunden damit aufzuhalten, über absichtliches oder versehentliches Fehlen des Geschäftsführers zu debattieren?

Wäre es nicht besser, schnellstmöglich einen Ersatztermin zu finden, bei dem alle Entscheider anwesend sind?

 

Ich finde heute mit Absicht keine allumfänglich gültige Antwort auf diese Frage. Vielleicht gibt es die auch nicht.

Denn flugs würden wir vielleicht auf moralische und ethische Werte in einem Unternehmen zu sprechen kommen. Und das trägt uns weit, weit weg von der Aufgabe, die wir zu erfüllen gehabt hätten.
Oder wir würden uns einfach eine Runde ärgern (was ja nachweislich zumindest unsere Adrenalinproduktionsorgane trainiert).

 

Was bleibt ist das im Meeting nicht gelöste Thema oder Problem.

Ob wir uns ärgern oder nicht. Ob der Geschäftsführer uns mit Absicht hat „sitzen lassen“ oder „uns auch Versehen vergessen“ hat. 

Was also wäre nun wünschenswert?
Was wäre gut für die Führungskräfte – für deren Teams und Mitarbeiter?

 

Ich überlasse Deine Antwort auf diese Frage Dir – liebe*r Leser*in.

Ich für mich bleibe dabei, dass ich es bevorzuge, Menschen Absicht zu unterstellen. Und zwar eine Gute.
Denn damit mache ich mir bessere Gefühle.

Und ich bringe mich damit in eine lösungsfokussierte Position.

Völlig absurde Ideen wären zum Beispiel:

Der Geschäftsführer wollte uns Freiraum lassen, das Thema ohne ihn und damit eventuell unvoreingenommener zu besprechen.
Der Geschäftsführer hat eine schwangere Frau und die Geburt setzte überraschend ein. Er ist auf dem Weg in den Kreissaal.
Der Geschäftsführer ist erschöpft mit dem Kopf auf seinem harten Schreibtisch eingeschlafen und jemand sollte in sein Büro gehen, ihm vorsichtig ein Kisslein unter den Kopf schieben und ihn zudecken. Denn ein ausgeschlafener Geschäftsführer ist entspannter und trifft bessere Entscheidungen.
Der Geschäftsführer hatte einen Freiheitsanfall und ist auf der Wiese vor dem Bürogebäude und bindet Haarkränze aus Gänseblümchen. Einfach mal so.

Bei den letzten beiden Ideen habe ich beim Schreiben geschmunzelt und finde es fast ein bisschen schade, dass sie mir sehr unwahrscheinlich vorkommen.

 

Es stellte sich übrigens später heraus, dass die Sekretärin des Geschäftsführers zum Zeitpunkt des Meetings im Urlaub war und er seine vielen Termine alleine nicht wirklich im Blick behalten hatte. Das war sogar schon häufiger passiert. Er war einfach in einem anderen Meeting geblieben, ohne zu ahnen, dass er es hätte verlassen sollen.

 

Auch in diesem Meeting wurde ein für den Fortbestand des Unternehmens und der Arbeitsplätze wichtiges Thema behandelt. 

 

Welches Fazit ziehe ich nun?

 Tu mehr mit Absicht.

Sag häufiger: Ja, das war zu diesem Zeitpunkt absichtlich. Und zwar in guter Absichtlichkeit. Ich habe es getan, weil ich etwas gutes darin wahrnahm, es zu tun. Mindestens für mich.

Der fehlende Geschäftsführer ist zumindest mit Absicht in dem anderen Meeting geblieben, nicht wahr? Weil es ihm wichtig erschien. Dass er dabei nicht mehr daran dachte, dass er parallel noch ein weiteres Meeting besuchen sollte, ist im Grunde egal. Denn er wusste es nicht und konnte damit seine Entscheidung nicht beeinflussen. Seine gute Absicht war es, in dem Meeting, in dem er saß, eine Lösung für ein Problem zu finden. Punkt.

Ob ein Mensch etwas mit Absicht oder aus Versehen tut, ändert meist nichts am Outcome.
Unterstellen wir dem Geschäftsführer einen guten Willen, für den Erfolg des Unternehmens sein Bestes zu geben – im Rahmen seiner Möglichkeiten?

Oder unterstellen wir ihm bösen Willen und einen beinahe satanischen Spaß daran, einen Teil seiner Führungskräfte zu versetzen und zu brüskieren?

Und – was macht diese oder jene Art, uns etwas vorzustellen, mit uns?

Was sagt das eine oder das andere tatsächlich sogar über Dich und Deine Art, über andere Menschen nachzudenken, aus?

Ist es wunderbar oder ist es wunderbar, dass die Familie mit dem großen Spaß an gischtendem Pfützenwasser vorbeifahrenden PKW-Führern erlaubt, etwas ansonsten Unhöfliches mal mit Absicht zu machen? Und es ist für alle fein? Weil: Wer entscheidet hier eigentlich, was eine gute und eine schlechte Absicht ist. Und wie können wir dies von beiden Seiten beeinflussen?  

Ein Wort noch zum Schluss:

Ich liebe achtsamen Umgang mit Menschen und deren Kräften und Ressourcen.

Vor allem liebe ich es, meine eigenen so gut es geht zu schützen und zu schonen.

Dafür übe ich fleißig, meine Zeit so sinnvoll wie möglich zu verbringen.
Und mir schöne Gedanken zu gönnen.
Und mich dabei so gut es geht entspannt und wohl zu fühlen.

Das ist besser für mich, meine Gesundheit und meine Familie.

Und ein letzter Punkt noch - eventuell sogar der Wichtigste:

Je mehr Du mit Absicht tust, 

desto weniger brauchst Du Rechtfertigungen, Verteidigungen und Entschuldigungen. 

Ist so.

 

Beste Grüße. Mit voller Absicht. 

Und in der Gewissheit, dass ich auf diesen Post Widerworte ernten werde. Nun denn – so sei es. Dann übe ich mich im entspannten Aushalten sehr unterschiedlicher Meinungen. Das ist ein Riesen-Skill, wie ich finde. ;-)

 

Deine Miri