Gibt es sie? Die eine, bedeutende Frage an Dich? Und dürfen wir sie Dir stellen?

Es ist eine Werbe-E-Mail. Etwa 20 am Tag erreichen mich von dieser Sorte. Ich bin Trainerin und habe alle möglichen anderen Trainer abonniert - natürlich aus rein beruflichem Interesse. Und da schickt mir einer von ihnen eine Einladung zu einem Kongress für spirituell handelnde Lehrer und was steht in der Überschrift?

Wer bist Du wirklich?

Es denkt in mir:
Ich bin Miriam Deforth, Kommunikationstrainerin und TV-Moderatorin.

Und dann... dann gibt es einen kurzen Ruck in meinem Gehirn und diese kleine, leise Stimme, die sich ab und an in meinem Kopf zu Wort meldet, fragt in sehr seriösem Unterton:
Und wer noch? 

 

Wie bitte?!

 

Hääääää? Och nö. Ich schaue auf die Überschrift der E-Mail des Kollegen und möchte mein Gehirn gerne an dieser Stelle anhalten.

Ich bin ich. Fertig.
"Neeeiiin", raunt die leise Miri-Stimme, "gib jetzt nicht schon wieder auf: WER BIST DU WIRKLICH?" 

 

Ich finde, dass die Frage hochexplosives Material ist. Warum wurde sie nicht längst als Überschrift einer E-Mail verboten? Nur, dass wir das klar haben: Vor einiger Zeit hätte ich so noch nicht gedacht. 

Ich hätte gar nicht darüber nachgedacht.

Da war mal was...


Ausgelöst durch die E-Mail, erinnerte ich mich, dass ich vor Jahren zu einer Psychotherapeutin wankte, weil ich glaubte, alleine nicht mehr weiter zu können. Ja, auch in meinem Leben gab es Krisen.

Und Tatsache - sie stellte mir diese Frage damals auch und ich antwortete (mit Tränen in den Augen, in dieser Zeit habe ich mich sehr viel beweint): "Das weiß ich nicht mehr. Ich bin so viele. Ich bin die Trainerin, die Schauspielerin, die Moderatorin, die Traumfrau, die Mutter, die Musikerin, die Ex-Partnerin, der Sportmuffel, die große Schwester, die älteste Tochter,  die Dichterin, die Autorin, die Speakerin, die Regisseurin, die Verlassene und Verratene, das Stehaufmännchen, die Pferdenärrin, die Entertainerin...

aaaaah, ICH BIN EINE GANZE GRUPPE - eine Mannschaft, ein Rudel, eine HORDE!"

 

Die Psychotherapeutin schaute damals seeeeeehr ernst. Sie hatte viele "prominente Menschen" in Deutschland in ihrer Obhut und war bekannt dafür, dass sie ihnen auf psychologische Weise wieder in den aufrechten Stand verhalf. Sie sagte erst gar nichts. 

Ich fühlte verzweifelt den Wirrwarr in meinem Kopf. All diese "Personen", die ich gerade aufgezählt hatte und von denen jede einzelne ja schon für ein Menschenleben gereicht hätte, schienen auf einmal auf mich einzureden. 

 

Promis und ihre Ich's

 

Die Therapeutin blickte mich todernst an und sagte: "Das ist der Klassiker bei Bühnen- und TV-Schaffenden."

Ich zog beide Augenbrauen hoch. "Was?" fragte ich. "Dass Promis eine ganze Horde von Ichs und nicht ein einzelner Mensch sind?"

 

"Ja", erwiderte sie, "und in der Fachsprache nennen wir das Schizophrenie."

 

AAAAAAAAAAAH! Hatte ich es doch gewusst. Ich fühlte mich sowieso am Ende. Sonst hätte ich damals ja keinen Termin bei der Promi-Psychologin vereinbart. Für teures Geld - wohlgemerkt. Ich war nicht nur verlassen worden und hatte mich auf 39 kg runtergehungert, nein, ich war ernsthaft krank. So, jetzt war es raus. Sie hatte ein passendes Leiden für mich gefunden. Ich spürte, wie das Blut aus meinen sonst sehr gut verstoffwechselten, immer roten Ohren bis in meine Waden absackte.

 

"Keine Sorge," zwitscherte die gepflegte Frau mit der pinkfarbenen Brille, "es dürfte sich bei Ihnen um eine leichte Form handeln. Menschen, die quasi auf Knopfdruck vor der Kamera und auf der Bühne in eine Rolle schlüpfen müssen (die Profi-Sprachzauberer-Leser achten bitte auf das Wort "müssen" an dieser Stelle), entwickeln gerne eine Art leichte Persönlichkeitsspaltung."

 

Kopfkino

 

PER-SÖN-LICH-KEITS-SPAL-TUNG? Mein Gehirn gehört zu den kreativen Gehirnen, die auf diesem Planeten herum getragen werden. Ich hatte augenblicklich Bilder von Hackebeilen und Kettensägen im Kopf. RRRRRRRROOOOOAAAARRRRR. Längs oder quer gespalten? 

 

Die Therapeutin bemerkte offenbar nichts von dem Splatter-Movie in meinem Kopf, denn sie referierte gnadenlos weiter auf mich ein: "Da die gespielte Rolle auf der Bühne oder vor der Kamera nichts mit dem realen Leben zu tun hat, ist der Unterschied zwischen diesen beiden 'Leben' oft so groß, dass die Seele nicht die Kraft besitzt, beides auszuhalten..."

 

Wieder Bilder auf Miri's 360 Grad Kinoleinwand in Ultra-HD-4D-Qualität: Meine kleine Seele als Engel mit rundem Bäuchlein, zwei wild frisierten Flügelchen, einer piratesquen Augenklappe (ich liebe Piraten-Engel) und an jedem Handgelenk ein Tau - das eine zieht in diese Richtung, das andere in die andere... der kleine Engel in der Zwickmühle... autsch! Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen schossen. Das war zu diesem Zeitpunkt deutlich Normalzustand, deshalb hatte ich Unmengen an Tempos dabei.

 

Frau Promi-Wiederherstellungskommando redete weiter und ihre Stimme wurde ernst und erinnerte mich an eine Mathelehrerin in der Mittelstufenzeit: "Und bei Ihnen ist nun das geschehen, was in leicht schizophrenen Krankheitsbildern immer mal vorkommen kann: Das Spannungsfeld zwischen der Moderatorin und Schauspielerin und der depressiven privaten Frau ist so gewaltig geworden..."

 

Ein leidender Praten-Engel...

 

Ich hörte gar nicht mehr richtig zu, denn der Horrorfilm vor meinem inneren Auge zeigte riesige, elektrische Entladungen zwischen dem Bild von mir, wie ich lächelnd im Fernsehstudio stehe und von mir, wie ich in meiner Lieblingsschürze zu Hause am Herd tränenüberströmt (weil ja offenbar depressiv) vegetarische Bolognese rühre. ZIIIIIIISCH-RUUUUUUMMMMS! Hilfe.

 

Meine Hände begannen zu zittern. Denn die Therapeutin hatte mich schizophren genannt. Zwei Seelen schlagen ach in ihrer Brust (Zitat aus Goethes "Faust", leicht angepasst) und fertig! Ha! Stempel drauf und los. Dr. Jekyll und Mr.Hyde. Bonny und Clyde. Miri und ihr Über-Ich. Molekülrauschen.

 

Wenn ich jetzt sagen würde, dass da noch zwanzig andere Miriams lauern und Spannungsfelder aufbauen und mit mir reden... HA! Ist das dann Polyphrenie statt Schizpohrenie? Und wenn ja, brauche ich dann nicht für jede der gepaltenen Teile in mir einen eigenen Therapeuten?!

Wer bin ich und wer sind wir?


Die Dame, der ein hervorragender Ruf als Therapeutin vorauseilte, hörte auf, zu referieren. Vermutlich hatte sie meinen blutunterlaufenen, etwas wirren Blick endlich bemerkt. "Ist alles in Ordnung, Frau Deforth? Wir sind ja hier, um Ihnen gemeinsam zu helfen."

Ich atmete. WIR?! Nun redete auch die Therapeutin schon im Plural von sich. Ohne nachzudenken fragte ich: "Haben Sie auch mehrere Therapeuten in ihrem Kopf?"

"Wie bitte?" offenbar war meine Frage nicht gut angekommen.

"Na, Sie haben doch gerade gesagt 'Wir sind hier, um ihnen gemeinsam zu helfen.' - das klang nach Gruppentherapie, oder mehreren Kollegen von ihnen."

Die Psychologin lächelte nur mit dem Mund. "Ich bin sehr im Reinen mit mir, Frau Deforth, das können Sie mir glauben. Ich höre keine Stimmen im Kopf und habe auch keine depressiven Schübe. Sie sind hier, weil es Ihnen nicht gut geht. Nicht ich."

 

Warum erzähle ich diese rabenschwarze Anekdote aus meinem Leben (die übrigens genau so stattgefunden hat, wie ich sie hier schildere)? Weil diese E-Mail die Gedanken daran wieder in mir hoch wirbelte. Erstens hat mich lange keiner mehr gefragt, wer ich wirklich bin und zweitens möchte ich diese Frage gerne an Dich, liebe Leserin, weiterreichen:

 

Wer bist Du wirklich?

Ja, nimm Dir ruhig mal ein Minütchen Zeit zum Nachdenken.

Stell Dir diese Frage und warte einfach auf die Antwort in Deinem Kopf.

 

Hast Du sie?

Egal welche.

 

Wie fühlt sie sich an?

Passend?

Vollständig?

Liebevoll?

Oder eher knirschend, unvollendet, schlecht sitzend, wie ein zu kleiner Schuh? Nur, dass wir es klar haben: Es geht nicht darum, eine "richtige" Antwort zu finden - denn jede Antwort, die es in Dir denkt, ist richtig. Die Frage ist eher: Möchtest Du daran etwas verändern oder ist es so, wie es ist, großartig? 

 

Viele Menschen werden zu etwas, weil sie gelernt haben, dass es für sie das "passende" ist. Eltern möchten (voller Liebe), dass ihre Kinder - genau wie sie selbst - studieren, Arzt oder Jurist werden, den Betrieb übernehmen, "was ordentliches" machen... Lehrer und Professoren wollen Elite-Absolventen, Gewinner, Geschäftsführer, brave Arbeiter... Ehemänner wollen perfekte Ehefrauen, Ehefrauen wollen perfekte Ehemänner... ständig möchte gefühlt in dieser Welt irgendeiner, dass Du irgendetwas bist oder wirst und bist Du es geworden, weil es Dein eigener Wunsch war? Weil es Dich begeistert? Damals wie heute? Und hörst Du diese leise Stimme in Dir noch, die Dir zuraunen möchte, wer Du wirklich bist?

 

So viele Stimmen... ein Chor.

 

Als die Psychologin nämlich sagte: "Ich höre keine Stimmen im Kopf...", wurde ich plötzlich wach. Wie? GAR KEINE? ich stellte mir vor, wie es für mich wäre, ohne die Stimmen in meinem Kopf. Also - die unterschiedlichen. 

Die Stimme, die mir den Text vorsagt, wenn ich auf der Bühne oder vor der Kamera stehe.

Die Stimme, die im Training andere Menschen noch weiter bringt.

Die Stimme, die mich anstiftet, tolle Ideen in die Tat umzusetzen.

Die Stimme, die mir liebevolle Worte für meine liebsten Menschen zuraunt.

Die Stimme, die mich selbst lobt für gelungene Abenteuer.

Die Stimme, die mich warnt, wenn etwas nicht gut für mich ist.

Die Stimme, die sich Texte und Gedichte ausdenkt, so dass ich sie niederschreiben kann.

Die Stimme, die Schönheiten der Natur und meiner Umgebung wahrnimmt und mich auf sie aufmerksam macht.

Die Stimme der Radio- und Fernsehsprecherin.
Die Stimme, die mich zum Sport treiben mahnt.

Die Stimme, die singt...

Ein ganzer Chor.

 

Ich weiß bis heute, dass ich laut "HALT!" zu der Therapeutin sagte.

Sie schaute verdattert. Ich sagte: "Ich möchte meine Stimmen behalten." Sie blickte völlig verständnislos zu mir.

"Ich möchte mir zuhören. Und zwar in Ruhe." 

Ich weiß auch, dass sie noch einmal ansetzte, um mir klar zu machen, dass es lediglich um den großen Unterschied und das "Spannungsfeld" zwischen der TV-Frau und der privaten Miri gehen würde und sie dort gerne für mehr Balance sorgen wollen würde und...

 

Es fühlte sich für mich nicht so an, als sei dass mein Problem. Denn nur, weil es der "privaten Miri" (die in meiner Welt auch die Fernseh-Miri ist, schließlich lasse ich keine Miri zu Hause hocken, wenn ich in den Sender fahre) gerade nicht so gut ging und die "Fernseh-Miri" dadurch vielleicht etwas größere Herausforderungen spürte, ging es ja immer noch um EIN UND DIE GLEICHE PERSON.

 

Das alles BIN ICH.

 

Ich schaltete den dröhnenden Motor der virtuellen Kettensäge aus, schloss das Beil zur Persönlichkeitsspaltung im Werkzeugschuppen ein, nahm meinem zerzausten Engel (der in meinem Kopf meine Seele verkörpert) die Handfesseln ab, die an ihm gerissen hatten und atmete gaaaaanz tief ein und aus.

 

Und dann schenkte mir mein Unterbewusstsein oder das Universum oder der liebe Gott oder wie Du es auch immer nennen möchtest, ein neues Bild. Das Bild von einem, großen tollen, glitzernden Diamanten, der im Weltraum schwebt. Er ist brillantgeschliffen und hat unrealistisch viele Facetten. Er dreht sich langsam und sanft und die Anzahl von Facetten, die gerade der Sonne zugewandt sind, strahlen, leuchten und funkeln in unermesslicher Schönheit, weil sie das Licht spiegeln, das auf sie fällt.

 

Es gibt Reflexionen in allen erdenklichen Farben. Jede Facette hat eine andere Farbtendenz. Kaum auszuhalten - so schön! Maximaler Kitsch. Voll auf die Zwölf. Eine überdimensionale Disco-Kugel, die mit ihrem Lichterspiel das Miri-Universum in ein Meer aus filigranen, immer neuen Lichtmustern tränkt. Eine Show der Superlative. Ein Ultra-Ding! Hollywood. Nur in total Übertrieben.

 

Die magische Überschrift über Deinem Leben

 

Und mit diesem Bild wurde mir auch klar, welche Überschrift über dem Diamanten stehen würde, könnte ich das Bild in einer Galerie ausstellen. Diese Überschrift machte mich so froh... gab mir das Gefühl von: Ja, das ist die Antwort. Genau darum bin ich hier! Das bin ich. Das ist die Antwort auf die Frage, die mir gestern über die E-Mail eines Trainerkollegen wieder ins seelische Netz und in die Erinnerung gespült wurde: 

"Dein Zauber ist die Sprache."

 

Ich glaube, dass jeder Mensch einen besonderen Zauber mit in sein Leben bringt. Einen großen - sozusagen (und da gehören viele kleine Zaubereien drunter - nur dass wir es erwähnt haben). Wir alle wissen ja, dass Zauberer immer irgendwie spezialisiert sind auf irgendetwas.

Und ich stelle mir manchmal vor, wie es ist, kurz bevor wie dieses Leben antreten, da oben im Himmel. Steht da der liebe Gott und klopft uns ein letztes Mal auf die Schulter, bevor wir uns für eine gewisse Zeit auf die Erde begeben?

 

Und er sagt sowas wie: "Gib gut auf Dich acht, meine Süße. Und denk dran: Dein Zauber ist... " und dann drückt er einem jeden von uns einen Zauberstab in die Hand - passend zu unserem Spezialzauber, und dann... gibt er uns einen leichten, liebevollen Stubbs Richtung Absprungrampe und huiiiii... hüpfen wir gen Mutter Erde. Während des rasanten Fluges halten wir den Zauberstab gut fest, denn er wird eines unserer wertvollsten Hilfsmittel für unser Leben sein.

 

Versteckte Zauberkraft

 

Und dann? Dann halten wir ihn hoch, kurz nachdem wir geboren worden sind. Wir strecken ihn Papa und Mama entgegen, strahlend, damit sie sehen, welchen Spezialzauberer sie zur Welt gebracht haben. 

Und bei vielen Babies sieht ihn niemand. Oder niemand redet darüber... Und dann wandert der Zauberstab irgendwann im Laufe der Kindheit in die unterste Schublade einer ollen Kommode bei Oma in der Wohnung. Und dort liegt er viele Jahre, manchmal Jahrzehnte, vergessen herum.

 

Die gute Nachricht: Er ist da noch! Oma's bewahren Zauberstäbe und Zauberbücher immer gut auf. Du kannst ihn spätestens bei einer Erbschaftsentrümpelung finden. ;-) Dann erschreck Dich nicht. Es ist ja Dein Zauber. Und völlig auf Dich abgestimmt. 

 

Wie viele Ich's begleiten Dich? Und wie heißt Dein Team?

 

Meine Psychotherapie damals war also MEGA-erfolgreich. Ich hatte mich erinnert, wer ich war und was ich vorhatte. Und dass ich dafür diverse Miri's brauche. Ein großes Miri-Sprachzauber-Team. Mit unterschiedlichen Stimmen.

 

Und auf die E-Mail, die mir der Kollege geschickt hatte, antwortete ich zuerst: "Ich bin Miriam Deforth, Kommunikationstrainerin und TV-Moderatorin." Und dann: "Und ich kann mit Sprache zaubern. Deshalb bin ich eine Gruppe." Und dann hab ich mich eine Runde unter den Esstisch gelacht und mich still bei dem Kollegen für die Nachricht bedankt.

 

Und Du? Vielleicht möchtest Du Deinem ICH ja auch eine Überschrift geben. Endlich wieder! Dann hättest Du diesen Blogpost nicht nur zu Ende gelesen (was heute deutlich eine Menge Textverarbeitung war), sondern sogar noch etwas für Dich getan. Ich freue mich, wenn ich die Überschrift zu Deinem Leben erfahren darf und Bescheid weiß, welchen Zauber Du mitgebracht hast... hier her, in Dein Leben. Ich umgebe mich nämlich sehr gerne mit Zauberern unterschiedlicher Spezifikation. Vor allem Kuchenback-Zauberer habe ich sehr gerne zur Kaffeezeit um mich. Hab ich gemerkt. Das macht das Leben noch witziger und bunter - und bisweilen leckerer.

 

In diesem Sinne: ICH BIN ICH und WER GENAU BIST DU?

Beste Grüße.

Miriam